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Den Formel-Rennsport gibt es seit fast 80 Jahren, und er ist heute der beliebteste Motorsport der Welt. Die einzigartigen Fahrzeuge, die in den Meisterschaften gefahren werden – tief liegend, skulptural und mit grossen Rädern, extrem aerodynamisch und mit riesigen Heckspoilern –, sind für die unzähligen Fans weltweit sofort wiedererkennbar. Die Formel 1 (F1) ist die Königsklasse des Automobilsports, und der Grand Prix von 2022 zog Hunderttausende Zuschauer an.

2012 traf der Profi-Rennfahrer Lucas di Grassi die mutige Entscheidung, sich einer neuen Formelklasse anzuschliessen – der neuen vollelektrischen Rennserie Formel E. Als di Grassi sich anmeldete, war die Formel E kaum mehr als eine Idee: Die Serie hatte keine Fahrer, keine Rennstrecken und keine Wagen. Doch di Grassis Wette auf die noch junge Meisterschaft hat sich ausgezahlt. In den Jahren nach seinem Einstieg als erster Rennfahrer der Klasse ist die Formel E enorm populär geworden; sie umfasst heute elf Teams und ist neben der Formel 1 die einzige Rennserie, in der jedes Jahr eine Weltmeisterschaft ausgetragen wird. Brasilianische Fahrer sind in der Klasse gut vertreten: Di Grassi gewann die Fahrermeisterschaft 2016/17, sein Kollege Nelson Piquet Jr. war der Sieger der Saison 2014/15.

Di Grassi hat an einer Vielzahl von Formelrennen teilgenommen, und seine frühe Entscheidung für die vollelektrische Variante spricht für sich. Als Nachhaltigkeitsenthusiast und Verfechter grüner Anliegen hofft er, dass seine Überzeugungsarbeit und seine umweltbewussten Investitionen eine ebenso grosse Wirkung haben werden wie seine Rennerfolge.

Mit Vollgas in die Zukunft

«Ein berühmtes Sprichwort besagt, dass der Motorsport in dem Augenblick begann, als das zweite Auto gebaut wurde, weil die Leute anfingen, miteinander in Wettstreit zu treten», sagt di Grassi. «Heute dient der Motorsport als Fortschrittslabor; er ist ein regulierter Bereich, in dem man verrückte Lösungen entwickeln kann, um diese in einer kontrollierten Umgebung zu testen.»

Di Grassi zählt kurz die Innovationen auf, die der organisierte Motorsport hervorgebracht hat: Scheibenbremsen, Federungssysteme und sogar Rückspiegel – all das gehört heute zur Standardausstattung von Pkw. Zwar sind Elektrofahrzeuge (EVs) heute bereits eine Selbstverständlichkeit auf den Strassen, doch di Grassi hofft, dass die Formel E neue Entwicklungen im Bereich der Elektromobilität vorantreiben, die Akzeptanz erhöhen und das Bewusstsein für nachhaltige, umweltfreundliche Technologien stärken wird.

«Die Motoren, die Software und die Komponenten, die in der Formel E verwendet werden, kommen irgendwann auch in gewerblichen Fahrzeugen zum Einsatz – in zwei, drei oder vier Jahren werden die Elektroautos viel besser sein als heute», erklärt di Grassi. «Und da der Rennsport populär ist und die Menschen sich für ihn begeistern, kann man die Vorteile nachhaltiger Technologien ganz einfach vermitteln – es gibt ein weltweites Publikum.»

Tatsächlich hat das Thema «Mobilität der Zukunft» für di Grassi zusehends an Bedeutung gewonnen. Als Rennfahrer mit grossem technischem Know-how – er war aktiv an der Entwicklung und Erprobung der Formel-E-Rennwagen beteiligt – verfügt di Grassi über ein einzigartiges Gespür für die Chancen und Herausforderungen der Fahrzeuge von morgen und ihrer Hersteller.

Erschwinglichere Verkehrsmittel, so di Grassi, werden die Norm sein. Eine Möglichkeit, wie die Preise für die Verbraucher gesenkt werden könnten, ist das Entstehen von etwas, das er als «Mikromobilität» bezeichnet – eine Kategorie, die sowohl das herkömmliche Fahrrad als auch neuere Entwicklungen wie die mietbaren, App-gestützten Elektroroller umfasst, die in Städten auf der ganzen Welt immer häufiger zu sehen sind. Auch das Mieten von E-Fahrzeugen wird immer beliebter werden, so di Grassi weiter, da die Verbraucher die Kosten für Wartung und Versicherung in Betracht ziehen.

«Wenn jemand eine Fahrt mit seiner Familie unternehmen muss, wird er ein Auto auf der Strasse vorfinden, das er benutzen kann», sagt di Grassi. Er fügt hinzu, dass die Kosten für ein Auto neben dem Wohnraum der «zweitgrösste Ausgabenposten» sind, den eine Person haben dürfte. Ausserdem sei ein Auto «ein Vermögenswert, der an Wert verliert und zu 95 Prozent der Zeit in der Garage steht». In naher Zukunft könnten die Verbraucher beschliessen, ihre Fahrzeuge in den Zeiten, in denen sie sie nicht nutzen, zu vermieten, um so zusätzliche Einnahmen zu generieren. Immer weniger Menschen werden sich überhaupt für den Kauf eines Autos entscheiden und stattdessen Dienste in Anspruch nehmen, bei denen sie lediglich die jeweilige Nutzung bezahlen.

«Autos sind an Orten wie São Paulo immer noch Statussymbole, doch nutzen bereits viele Menschen in dieser Region Apps und wählen eine ‹fluide› Mobilität, um sich in der Stadt fortzubewegen», so di Grassi. «In São Paulo dürfen die Taxifahrer spezielle Fahrspuren benutzen, so dass man viel Zeit gewinnt.»

Boxenstopps und Hindernisse

Natürlich gibt es viele Herausforderungen. Auch wenn Hybridfahrzeuge in vielen Städten bereits recht beliebt sind – man denke nur an den allgegenwärtigen Toyota Prius –, stellen für di Grassi die begrenzten Batteriekapazitäten das Haupthindernis für den nachhaltigen Erfolg vollelektrischer Autos dar. Im Allgemeinen dauert das Aufladen einer Batterie länger als das Tanken von Kraftstoff, und mit einem vollen Kraftstofftank kommt man immer noch weiter als mit einer voll aufgeladenen Batterie.

Di Grassi meint, dass der Entwicklung der Batterietechnologie Priorität eingeräumt werden sollte, insbesondere für Fahrzeugtypen, die ständig unterwegs sind, etwa im öffentlichen und gewerblichen Verkehr.

«Diese Verkehrsarten sind sehr gut planbar, denn die Fahrzeuge fahren stets die gleichen Strecken», sagt di Grassi. «Wir könnten eines Tages beispielsweise an den Haltestellen, wo die Busse Fahrgäste aufnehmen, kontaktlose Ladegeräte anbringen, wie wir sie heute für Handys haben. Man kann genau berechnen, wie viel Energie der Bus braucht, um von einer Haltestelle zur nächsten zu gelangen.»

Insbesondere auf dem brasilianischen Markt sieht di Grassi eine Reihe von Hürden, die ausgeräumt werden könnten, um die Akzeptanz von Elektrofahrzeugen bei den Verbrauchern zu steigern. Abgesehen von der Batterielaufzeit dürfte der hohe Preis von Elektroautos einige potenzielle Käufer abschrecken und Verbrenner im Vergleich attraktiver erscheinen lassen, meint er.

«Eine neue Technologie kann sich nur dann durchsetzen, wenn sie kostengünstiger ist als das, was es bereits gibt», erklärt di Grassi. «Und wie gelingt es nun, dass Elektroautos günstiger werden als Verbrenner? Man muss entweder die Kosten für das Auto oder die Kosten für die Investition senken. Es ist teuer, sich in Brasilien Geld zu leihen.»

Eine Phase staatlicher Subventionen könnte helfen, die Akzeptanz von Stromern in Brasilien zu steigern, so di Grassi weiter, bis die Hersteller in der Lage sind, die Fahrzeuge in einem solchen Umfang zu produzieren, dass sie etwa gleich viel kosten wie Verbrenner. Angesichts des Nutzens für die Volksgesundheit, den ein massenhafter Umstieg auf Elektrofahrzeuge mit sich brächte, sei eine Subventionierung politisch sinnvoll.

Di Grassi ist jetzt 38 Jahre alt, und er sagt, seine Karriere als Rennfahrer befinde sich in der «Spätphase».

«Ich denke viel über meinen nächsten Schritt nach – ich fahre seit 20 Jahren professionell Rennen», sagt er. «Ich liebe Elektromobilität – wenn ich ihre Bedeutung vermitteln, das Bewusstsein der Menschen verändern und einige Branchen beeinflussen kann, bin ich zufrieden.»

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